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Der wahre Preis des Honigs

12.07.2022, Heny Sonnet

Der Biologe und Autor Torben Schiffer beschäftigt sich mit Honigbienen und erforscht ihre natürlichen Lebensumstände. Er kritisiert die konventionelle Imkerei und bezeichnet sie als moderne Massentierhaltung. Honigbienen (Apis mellifera) sind Wildtiere, die ursprünglich im Wald in Baumhöhlen leben. Durch die Imkerei werden sie zunehmend domestiziert und auf Eigenschaften hin gezüchtet, durch die die Überlebenswahrscheinlichkeit der Spezies unter natürlichen Bedingungen verringert wird. Torben Schiffer schreibt: "In dieser Form der zweckgebundenen Nutztierhaltung werden die Bienen auf den Status einer wartungsintensiven Honigmaschine reduziert, an der man beständig eingreifen und manipulieren muss, damit sie richtig läuft." Frei in der Natur lebende Honigbienenvölker sind selten geworden. Seit etwa 45 Millionen Jahren gibt es staatenbildende Honigbienen. Ihre Genvielfalt wird durch die Imkerei jedoch seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch gezielte Zucht verändert. Zu den typischen Zuchtzielen gehören unter anderem hohe Honigleistung, Sanftmut, hohe Volksstärke und fehlender Schwarmtrieb. Dadurch werden Honigbienen an die Anforderungen der Nutztierhaltung angepasst, nicht jedoch an eine Überlebensfähigkeit in der Natur, unabhängig von menschlichen Eingriffen. Das Überleben einer Spezies, die durch ihre Bestäubungsleistung zum Fortbestand von etwa 80 Prozent von Menschen genutzter Pflanzen und unzähliger weiterer für Ökosysteme wichtiger Pflanzen beiträgt, wird abhängig von der Imkerei.

Bienenhaltung in der modernen Imkerei

Die moderne Imkerei ist eine Intensivtierhaltung von Honigbienen. Laut Torben Schiffer ist das Halten von Bienen in erweiterungsfähigen, eckigen Beuten aus Holz oder Styropor, die in Bodennähe und oftmals viel zu dicht nebeneinander aufgestellt werden, artfremd. Der Energiegrundumsatz übersteigt den Energiebedarf in Baumhöhlen aufgrund von Wärmeenergieverlusten oder Bauprozessen in etwa um den Faktor 10. Für das Erzeugen eines Kilos Honig benötigt ein Bienenvolk 3 bis 4 Liter Nektar. Zu dem von der Imkerei geernteten Honig kommt in einer standardmäßig verwendeten Bienenbeute die etwa 5-fache Menge an Honig hinzu, die das Volk für den zusätzlichen Energieaufwand im Stock benötigt. Das hat Auswirkungen auf das Ökosystem der Kulturlandschaft und dessen Artenvielfalt an bestäubenden Insekten. Hinzu kommt, dass Sammelbienen eine relativ kurze Lebensdauer haben und während ihrer Sammeldiensttätigkeit etwa 2 Gramm Honig sammeln. Je mehr Nektar gesammelt werden muss, desto höher ist der Brutumsatz. Mit einem erhöhten Brutumsatz geht auch eine erhöhte Varroamilben-Reproduktion einher, eines der Hauptprobleme in der modernen Imkerei.

Paragraph 1 des deutschen Tierschutzgesetzes

§1 TierSchG: "Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen."

Bei einer konventionellen Betriebsweise wird häufig entgegen dieses Paragraphen gehandelt. So kann es vorkommen, dass den Königinnen die Flügel geschnitten werden, damit sie nicht schwärmen können. Während der Schwarmzeit ist es ebenfalls gängige Praxis, die Bienenbeuten zu öffnen, um den gesamten Bienenstock zu kontrollieren und nach Weiselzellen (Brutzellen, in denen Königinnen heranwachsen) abzusuchen. Diese werden dann entfernt, um das natürliche Schwarmverhalten der Bienen zu unterbinden. Um die Varroamilben-Population zu dezimieren, ist es üblich, Drohnenbrut (heranwachsende männliche Bienen) herauszuschneiden, da sich Varroamilben in diesen Brutzellen besonders häufig fortpflanzen. Die heranwachsenden Drohnen werden nach dem Herausschneiden gezielt getötet oder z.B. als Vogelfutter aufgehängt. Eine geläufige Methode zur Behandlung der Varroamilbe ist es, organische Säuren wie z.B. Ameisensäure oder Oxalsäure zum Verdunsten in den Bienenstock zu bringen. Wird nun bedacht, dass bereits für uns Menschen der Geruch dieser Säuren unangenehm ist und Bienen einen enormen Geruchssinn besitzen, bekommt man einen Eindruck davon, welche Qualen die Bienen während der Behandlung erleiden müssen. Durch die Behandlung kann es zum Sterben von Anteilen der Brut kommen. Es gibt auch Beobachtungen, dass sich Bienen während der Behandlung ihre Fühler vom Kopf reißen. Dies erscheint nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Bienenfühler hochsensible sensorische Hilfen sind. Mit ihnen können die Bienen z.B. Temperaturunterschiede von 0,1 Grad erkennen, sie können den Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre messen, sie riechen, ob die Brut hungrig ist, ob sie geputzt oder verdeckelt werden muss und sie können geringste Mengen bestimmter Duftstoffe noch aus mehreren Kilometern Entfernung wahrnehmen. Außerdem werden durch die Säurebehandlung wertvolle Mikroorganismen im Bienenstock getötet, die bei der Gesunderhaltung des Volkes unterstützen.

Ein gesundes Honigbienenvolk sammelt genügend Honig, um im Winter nicht verhungern zu müssen. In einer Imkerei wird dem Volk allerdings im Sommer in der Regel zwischen Mitte und Ende Juli ein Großteil des Honigs entnommen. Die Gesamtmenge des pro Volk entnommenen Honigs hat sich in letzter Zeit deutlich erhöht. Wurden pro Volk vor wenigen Jahrzehnten noch durchschnittlich 10 bis 15 kg Honig pro Jahr geerntet, sind es heute 40 bis 60 kg, manchmal sogar deutlich mehr. Nach der Entnahme erfolgt häufig eine erste Behandlung gegen Varroamilben mit Ameisensäure. Honigentnahme und Varroamilben-Behandlung bedeuten doppelten Stress für das Bienenvolk. Das Volk sieht sich gezwungen, den Honigvorrat wieder aufzufüllen, zu einer Zeit, in der die meisten Sträucher und Bäume nicht mehr blühen und Blühwiesen die einzige Nektar- und Pollenquelle darstellen. Vielen Völkern gelingt es nicht, genügend Nahrungsvorrat für den Winter zu sammeln. Daher muss zugefüttert werden, in der Regel mit Zuckerlösungen, die - verglichen mit Honig und Pollen - minderwertig in ihrer inhaltlichen Zusammensetzung sind. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass durch die Aufnahme von Honig und Pollen bestimmte Gene hoch-reguliert werden, die für die Abwehr von Pestiziden und Krankheitserregern erforderlich sind. Kann es sein, dass der Stress, dem ein Bienenvolk in einer modernen Imkerei ausgesetzt ist, gerade erst die Behandlung mit organischen Säuren notwendig macht?

Die Entnahme des Honigs im Sommer hat nicht nur Einfluss auf das Honigbienenvolk selbst, sondern auch auf das gesamte Ökosystem, in das das Bienenvolk eingebettet ist. Es ergibt sich daher die viel diskutierte Frage:

Besteht eine Nahrungs-Konkurrenz zwischen Honigbienen und wildlebenden Bienen?

Während es im Frühjahr ein reichliches Angebot an Pollen und Nektar gibt, beginnt das Nahrungsangebot spätestens nach der Lindenblüte im Sommer knapp zu werden. Blühende Pflanzen auf naturbelassenen Wiesen, die im Sommer die nun fehlenden Blüten der Sträucher und Bäume ersetzen, sind seltener geworden. Sie verschwinden nach und nach aus der Kulturlandschaft oder sind z.B. aufgrund von häufiger Mahd oder hoher Vergrasung arm an Blüten. Hinzu kommt der Einsatz von Herbiziden in der Landwirtschaft und in Gärten, wodurch der Wuchs von Wildkräutern unterdrückt wird. Dadurch, dass zu dieser Zeit den Honigbienenvölkern in der modernen Imkerei ein großer Teil ihres Honigs entnommen wird, geraten die Honigbienen unter Druck. Anstatt sich auf die Winterruhe vorbereiten zu können, sind sie nun gezwungen, ihren Nahrungsvorrat aufzufüllen. Honigbienen sind sehr effiziente Sammlerinnen. Sie bevorzugen Massentrachten - wie z.B. die Blüten der Bäume - und sind in der Regel blütenstet, das bedeutet, dass sie bei ihren Sammelflügen Pflanzen gleicher Art bevorzugt aufsuchen. Im Sommer können sie nun vermehrt an den Blüten der Wildpflanzen beobachtet werden, die jedoch eine sehr wichtige Nahrungsquelle der teils auf bestimmte Pflanzenarten beschränkten Wildbienen sind. Je nach Angebot an Wildpflanzen kann es nun zu einer Nahrungs-Konkurrenz zwischen Honigbienen und Wildbienen kommen.

Was bleibt zu tun?

Honigbienen sind ursprünglich im Wald lebende Wildtiere. Dort sind sie jedoch nur noch sehr selten anzutreffen. Ein Grund dafür sind die in der heutigen Kulturlandschaft fehlenden Baumhöhlen als natürliche Nistmöglichkeiten. Es braucht Wälder, die weniger aufgeräumt sind und dafür mehr verbliebenes Totholz und stehen gebliebene tote Bäume enthalten. Wild lebende Honigbienen erhöhen durch ihren Genpool, der durch natürliche Auslese entstanden ist, die Überlebenswahrscheinlichkeit der Honigbienen und reduzieren die Abhängigkeit von der Imkerei. Torben Schiffer schreibt dazu: "Das größte Problem der Honigbienen ist nicht die Varroamilbe, sondern die flächendeckende, evolutionsvernichtende Unterwerfung dieser ökosystemrelevanten Schlüsselspezies in der tierrechtsverletzenden Intensivtierhaltung der modernen Imkerei."

Unabhängig davon, ob es eine Nahrungskonkurrenz zwischen Honigbienen und wildlebenden Bienen gibt, sind Kulturlandschaften mit einer höheren Zahl an vielfältigen Blütenpflanzen notwendig. Die Zahl an Hobbyimkern steigt. Dadurch erhöht sich die Dichte an Honigbienenvölkern pro Fläche, vornehmlich in Städten und an Stadträndern. Im gleichen Maß, wie die Anzahl an Honigbienen und ihr Bedarf an Pollen und Nektar steigt, muss auch ihr Nahrungsangebot steigen. Sowohl Hobbyimker als auch professionelle Imkereien sollten mit jedem aufgestellten Volk gleichzeitig dafür sorgen, dass es ein ausreichendes Nahrungsangebot gibt.

Es mangelt zudem an der Erforschung wildlebender Honigbienenvölker. Die bestehende Forschung scheint vielmehr die Bienenhaltung im Sinne der Nutztierhaltung zu fokussieren, was in Hinblick auf die Wichtigkeit dieser für die Gesunderhaltung von Ökosystemen relevanten Spezies zu einseitig ist.

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