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Plädoyer für Nacktschnecken

09.09.2022, Heny Sonnet

Nacktschnecken gehören - neben Wühlmäusen, Mücken, Zecken, Kartoffelkäfern, Blattläusen, Spinnmilben usw. - zu den meist-gehassten Lebewesen in unseren Breitengraden. Das muss sich schrecklich anfühlen.

Ich hätte von mir bislang behauptet, dass ich ein friedliebender Mensch bin, besonders dann, wenn ich bei mir im Garten unterwegs bin. Dem ist leider nicht so. Ich nehme es mir heraus, Lebewesen in gute und in schlechte Lebewesen zu unterteilen. Ich befürworte nicht nur, dass bestimmte Lebewesen Jagd auf andere machen, ich fördere es sogar. Ich freue mich, wenn ich Marienkäfer sehe, weil ich weiß, dass ihre Larven Jagd auf Blattläuse machen. Genauso ist es bei Igeln, weil ich weiß, dass Nacktschnecken auf ihrer Speiseliste stehen. Wenn mir Weinbergschnecken oder Tigerschnegel über den Weg laufen, bringe ich sie in Sicherheit. Auch sie gehören laut Literatur zu den Fressfeinden von Nacktschnecken wie zum Beispiel der Spanischen Wegschnecke oder der Gemeinen Wegschnecke. Gartenratgeber und Internetforen überschlagen sich mit Ratschlägen, wie am besten gegen Nacktschnecken vorzugehen ist. Die Tipps reichen von chemischen Giftstoffen wie Metaldehyd, das in Schneckenkorn enthalten ist, über Bierfallen, die Nacktschnecken anlocken und ertrinken lassen bis hin zu Schneckenzäunen. Metaldehyd schädigt die Schleim bildenden Zellen von Schnecken irreversibel, und zwar nicht nur die der Nacktschnecken. Dadurch werden Schutzfunktion der Schneckenhaut, Fortbewegung und Verdauung der Tiere behindert. Die Schnecken schleimen aus und verenden qualvoll an Ort und Stelle.

Woher rührt dieser Hass auf Nacktschnecken?

Rein ästhetisch sind Nacktschnecken sicherlich nicht so schön anzusehen wie z.B. Igel, die die meisten Menschen wahrscheinlich als süß und possierlich bezeichnen würden. Aber dies allein kann noch kein Grund für diesen unermesslichen Hass sein. Der Hass kommt vermutlich eher daher, dass Nacktschnecken oft die Pflanzen fressen, die uns besonders wertvoll erscheinen. Die meisten Menschen haben eine bestimmte Vorstellung davon, welche Pflanze sie an einer bestimmten Stelle wachsen sehen möchten. Diese Vorstellung stimmt mit der der Nacktschnecke oft nicht überein. Die Nacktschnecke macht einfach das, wofür sie bestimmt ist. Sie frisst die Pflanzen, auf die sie einen besonders großen Appetit hat und genießt wahrscheinlich deren Geschmack. Oftmals so gründlich, dass sämtliche Kulturpflanzen in einem Beet von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. So etwas kennen wir Menschen der westlichen Zivilisation ja auch. Wir nehmen uns das, was wir gerade brauchen. Rücksichtslos, undankbar und ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was dieser Eingriff für die Lebewesen vor Ort bedeutet. Vielleicht spiegeln die Nacktschnecken uns unser rücksichtsloses Verhalten der Mutter Erde gegenüber ja sogar und tun uns damit letztendlich einen Gefallen, wenn wir die Größe besitzen und diesen Spiegel annehmen können.

Bedeutung von Nacktschnecken

Keine Nacktschnecke hat böswillige Absichten. Nacktschnecken sind ein wichtiger Teil natürlicher Verwertungskreisläufe. Sollten sie übermäßig auftreten, ist das eher ein Zeichen dafür, dass die Natur aus dem Gleichgewicht ist. Nacktschnecken fördern die Gesundheit im Garten. Sie fressen schließlich nicht nur unsere geliebten Kulturpflanzen, sondern auch tote Tiere und verwesende Pflanzenteile. Dadurch tragen sie zur Bildung von Humus bei und helfen dabei, dass keine riesigen Abfallberge entstehen.

Das erste Mal wirklich dankbar war ich, als ich mehrere Nacktschnecken dabei beobachtete, wie sie einen stinkenden Kothaufen fraßen, der sich mitten auf dem Weg befand. Nach wenigen Tagen war von ihm nichts mehr zu sehen, außer ein paar Schleimspuren.

Dankbarkeit gegenüber Nacktschnecken

Im Frühsommer hatte ich Sonnenblumen, die ich zuvor in Anzuchttöpfen vorgezogen hatte, im Garten an verschiedene Stellen gepflanzt,. Es waren 9 Pflanzen. Von diesen 9 Pflanzen haben am Ende 3 überlebt, eine davon eher kümmerlich. Die restlichen Pflanzen wurden von Nacktschnecken kahl gefressen, so dass sie keine Chance hatten zu überleben. Ein bis zwei Tage nachdem ich die Pflanzen ausgepflanzt hatte, ließen einige von ihnen ihre Blätter hängen, weil allgemeine Trockenheit herrschte. Die beiden Sonnenblumen, die am Ende am besten gediehen, ließen in dieser Zeit ihre Blätter nicht hängen, woraus ich schloss, dass sie sich an ihren Orten wohl fühlten. Die Trockenheit hielt an, so dass ich am Ende auch diese beiden Sonnenblumen mit dem inzwischen raren und kostbaren Regenwasser gießen musste. Zu diesem Zeitpunkt war ich den Nacktschnecken dankbar. Sie hatten mir eine Entscheidung abgenommen, denn ich brauchte das kostbare Regenwasser auch für andere Pflanzen, damit sie nicht verdursten. Das Wasser hätte nicht für alle Sonnenblumen gereicht.

Doch zurück zum Anbau unserer Nahrungsmittel. Es geht ja nicht nur um grünen Salat, den wir problemlos durch wilde Pflanzen ersetzen könnten. Nacktschnecken haben ja auch eine Vorliebe für andere köstliche Jungpflanzen, von denen wir später zum Beispiel Rote Bete oder Möhren ernten möchten. Es gibt Gärten, in denen all diese Kulturpflanzen üppig gedeihen. Wird hier aktiv gegen Nacktschnecken vorgegangen oder finden die Pflanzen hier einfach nur optimale Bedingungen vor? Wie handhaben es beispielsweise indigene Völker, die jede Art von Leben respektieren und wertschätzen?

Eike Braunroth - Gründer der von ihm benannten Friedensgärten - ist solchen Fragen auf den Grund gegangen und hat dabei interessante Erkenntnisse gewonnen. Er folgt dabei ungewöhnlichen und für viele Menschen auf den ersten Blick vermutlich fragwürdigen Gedankengängen. Einer davon ist beispielsweise, dass er Tätigkeiten eines Gärtners mit Machtstreben vergleicht: "Zu Beginn meines Erwachsenenlebens als Gärtner meinte ich, im Garten über alles entscheiden zu können. Solche Einstellungen besitzen - wie ich hörte - die meisten Gärtner. Diese Macht schließt die Entscheidungen des Gärtners für Aussaat, Düngung, Pflege, Ernte, Lagerung ein. Macht über die eigene Tätigkeit zu besitzen, mag noch angehen. Doch ein Wunsch, eine weitere Macht über andere zu besitzen, ist Machtstreben." Für ihn liegt die Lösung für gärtnerische Probleme, bei denen es einen Konflikt zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen gibt, in einem Konzept, das er "Kooperation mit der Natur" genannt hat.

Kooperation mit der Natur

Eike Braunroth schreibt, wenn wir in einer friedlicheren Welt leben möchten, müssen wir zunächst bei uns selbst anfangen und alles aufdecken, was in unserem unmittelbarem Umfeld Disharmonie schafft. Das kann beispielsweise Neid, Gier, Hass oder Eifersucht sein. Alles Eigenschaften, die wir ablehnen, die aber durchaus ein Teil von uns sein können, wenn auch unbewusst. Mit den Worten von Hubert Hügle muss der Mensch "bereit sein, sich mit all seinen Ebenen auf einen Prozess einzulassen, der das entsprechende Bewusstsein bewusst macht. Er muss bereit sein, sich ins eigene Gesicht zu schauen."

Übertragen auf den Garten sind wir durchsetzt von verschiedensten Ängsten und Befürchtungen. Werden meine zarten Jungpflanzen morgen auch noch da sein? Werden meine Apfelbäume auch in diesem Jahr wieder von Gespinstmotten befallen sein? Wird es in diesem Jahr wieder so feucht, dass meine Tomaten von der Braunfäule heimgesucht werden? Oder wird Dürre alles vertrocknen lassen? So werden Schnecken, Gespinstmotten, Pilze, Regen und Sonne schnell zu unseren Feinden, gegen die wir ankämpfen müssen. Ein Kampf gegen die Natur, weil sie nicht so will wie wir es wollen. Ein Kampf, der zum Einen sinnlos ist und bei dem wir zum Anderen gnadenlos unterlegen sind. Das Bibelwort: "Macht Euch die Erde untertan" wurde von uns missverstanden. Eike Braunroth passt die Aussage an zu: "Machet Euch der Erde zum Untertan! Zuerst ist der Mensch Untertan und Diener der Erde! Die Erde braucht den lichtvollen Mitmenschen!"

Für indigene Völker ist es selbstverständlich, der Mutter Erde für all ihre Gaben zu danken. Das haben wir in der westlichen Welt verlernt. Wir nehmen von Mutter Erde, als wäre es das Normalste auf der Welt, zumeist ohne jeglichen Energieausgleich. Was bedeutet es, wenn ich von "meinem" Garten mit "meinen" Pflanzen rede? Sollten die Gedanken nicht eher dahin gehen, dass ich Verantwortung für einen Teil von Mutter Erde und allen dort lebenden Wesen übernommen habe? Dann sind die Pflanzen nicht mehr "meine" Pflanzen. Sie werden von Objekten zu eigenständigen Subjekten. Eike Braunroth sagt, dass wir eine andere Einstellung zu Pflanzen hätten, wenn wir wüssten, dass sie den Menschen ihr Leben in Liebe geben. Wir sind eingereiht in den Kreis der Lebewesen auf dem Teil von Mutter Erde, der uns anvertraut wurde. Wir stehen nicht außerhalb davon, um alles kontrollieren und damit Macht ausüben zu können. Dazu gehört auch das Teilen, zum Beispiel mit Vögeln, Schnecken, Mäusen, Bienen, Blattläusen und Schmetterlingsraupen.

Das morphogenetische Feld

Rupert Sheldrake und zahlreiche andere Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass die Information für die Art und Weise des Wachstums von Pflanzen nicht allein in denen Genen ihrer Samen kodiert sein kann. Er geht davon aus, dass es Felder gibt - er nennt sie morphogenetische Felder -, die die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Körperform von Pflanzen maßgeblich beeinflussen. Diese Felder sind für uns nicht sichtbar und wissenschaftlich nur schwer nachweisbar. Laut Rupert Sheldrake nehmen sie Gestalt an und entwickeln sich wie Organismen, beeinflussbar durch Wiederholungen. Außerdem haben sie eine Geschichte und enthalten eine Art immanentes, kumulatives Gedächtnis. Neben den morphogenetischen Feldern gibt es weitere Felder wie zum Beispiel Wahrnehmungs-, Verhaltens- und geistige Felder, die für die Organisation von Wahrnehmung, Verhalten und geistiger Tätigkeit zuständig sind. All diese organisierenden, morphischen Felder interagieren miteinander und bilden Einheiten (Holons), die wiederum mit anderen morphischen Feldern in einer sogenannten Holarchie hierarchisch ineinander verschachtelt sind.

Die Beschreibung dieser morphischen Felder ist der Versuch, wissenschaftliche Erklärungen für Phänomene zu finden, die wir zwar beobachten, uns bislang allerdings nicht schlüssig erklären können. So ist zum Beispiel bekannt, dass viele Haustiere wie Hunde und Katzen die Absichten von Menschen, die kilometerweit entfernt sind, wahrnehmen können. Tiere sind auch dazu in der Lage, Erdbeben vorherzuahnen. Doch nicht nur Tiere haben diesen Siebten Sinn, wie Rupert Sheldrake diese Fähigkeit bezeichnet, auch Menschen können Dinge über ihre fünf Sinnesorgane hinaus wahrnehmen. So wissen beispielsweise Buschmänner in der Kalahariwüste in Südafrika vor der Ankunft der Jäger, wann sie kommen werden und was sie erbeutet haben. In Norwegen drückt der Begriff vardøger die Wahrnehmung des Eintreffens einer Person aus, bevor das tatsächliche Eintreffen mit unseren Sinnesorganen wahrnehmbar ist.

Wenn Tiere und Menschen Absichten über Entfernungen wahrnehmen können, warum dann nicht auch Pflanzen? Eike Braunroth ist davon überzeugt, dass sich unsere Ängste, die sich auf Pflanzen beziehen, auf diese auswirken. Sie werden dadurch geschwächt oder krank. Unsere innere Gemütsbewegung wird quasi im Außen gespiegelt. In Tamera, einer Lebensgemeinschaft in Portugal, ist man der Überzeugung, dass sobald Friede eingekehrt ist, wo bisher Angst war, erkennbar wird, welchen Lebensdienst Tiere leisten, die bisher als "Schädlinge" aus unserem Leben verbannt wurden. Dazu wurde eine eigene Abteilung mit der Bezeichnung "Terra Deva" entwickelt, deren Herzstück eine heilige Allianz aller Lebewesen ist: "Jedes Mitgeschöpf der heiligen Allianz ist ein Organ im Ganzen und hilft mit, das Ganze in Gang zu halten. Wenn bei einem Organ eine Störung eintritt, müssen alle anderen dazu beitragen, die Störung zu überwinden."

Hubert Hügle ist im Rahmen seiner Diplomarbeit im Bereich der Agrarwissenschaften der Frage nachgegangen, ob es eine Korrelation zwischen Pflanzenbauproblemen und menschlichem Bewusstsein gibt. Auch wenn die Ergebnisse seiner Experimente in ihrer Aussagekraft nicht eindeutig sind, haben diese dennoch verschiedenste Entwicklungsprozesse in ihm angestoßen. Für ihn besteht ein Sinn der Pflanzen darin, den Menschen zu einem Leben in Liebe zu führen. Er ist sich sicher, dass Pflanzen für Menschen unverzichtbar sind, wenn sie ihre Probleme lösen möchten.

Unser menschenfixierter Standpunkt

Andreas Weber schreibt in seinen Veröffentlichungen unter anderem über Pflanzen und ihre erstaunlichen Sinnesleistungen. Pflanzen können Sinnesreize wahrnehmen und auf diese Weise fühlen, sehen, hören und kommunizieren. Botaniker finden immer mehr Indizien dafür, dass Pflanzen keine Bioautomaten sind, die wahllos künstlich manipuliert werden können. Solange wir Pflanzen lediglich als nachwachsenden Rohstoff für den Bau und die Möbelindustrie oder als dummes Grünfutter sehen, erhalten wir keinen Zugang zu ihnen. Der Botaniker Stefano Mancuso ist davon überzeugt, dass Pflanzen nicht nur im Vollbesitz der fünf menschlichen Sinne sind, sondern darüber hinaus noch weit mehr. So sind sie zum Beispiel in der Lage, Magnetfelder oder Chemikalien gesondert wahrzunehmen. Sie können sich zudem zu unterschiedlichen Charakteren entwickeln. Pflanzen senden und empfangen Duft in Form von Gasteilchen. Diese können von anderen Gewächsen, Insekten oder Wirbeltieren wahrgenommen werden. Pflanzen sind auch sehr gut dazu in der Lage, sich selbst mittels ihrer ausgesendeten Duftstoffe zur Wehr zu setzen. Wenn wir sie dabei gewähren lassen, sind sie nicht auf unsere Eingriffe angewiesen.

Es ist an der Zeit, dass wir Menschen der westlichen Zivilisation unseren menschenfixierten Standpunkt verlassen. Stefano Mancuso sagt, dass gerade etablierte Wissenschaftler erbittert auf dem Dogma beharren, dass eine Pflanze eigentlich eine Maschine sei. "Sie leisten den größten Widerstand gegen eine neue Einschätzung der Gewächse." Derartige Einstellungen hindern uns daran, andere Wesen so wahrzunehmen, wie sie sind und anzuerkennen, dass andere Lebewesen zu weit mehr in der Lage sind als wir ihnen zutrauen.

Zurück zu den Nacktschnecken

Was hat dies alles mit den Nacktschnecken zu tun? Der Ausflug in andere Wissensbereiche sollte zeigen, dass es weit mehr gibt, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Ich möchte noch einmal auf mein Beispiel mit den Sonnenblumen zurückkommen. Offensichtlich hatten die am Ende übrig gebliebenen Pflanzen etwas an sich, was sie überleben ließ. Ich weiß nicht, was es war. Vielleicht hatten sie schnell genug Abwehrstoffe produziert, so dass die Schnecken von ihnen abließen. Denn Schleimspuren waren auch an diesen Pflanzen zu erkennen, was darauf hindeutet, dass auch sie von den Schnecken erkundet wurden. Vielleicht fühlte es sich für die Schnecken auch stimmig an, dass diese Pflanzen an diesen Orten wachsen und ließen sie gedeihen. Was es auch war, es schien eine für mich nicht wahrnehmbare Ordnung zu herrschen, die keinerlei menschliche Eingriffe bedurfte. Die Natur hatte mir gezeigt, wo Pflanzen in Harmonie mit den anderen Pflanzen und Tieren leben konnten und wo der Boden sie mit allem Notwendigen versorgte.

Vielleicht hätten die Kogi eine Erklärung dafür. Die Kogi sind ein indigenes Volk, das zurückgezogen in den Bergregionen im Norden von Kolumbien lebt. Sie haben sich dazu entschieden, den Kontakt zu uns Jüngeren Brüdern - so bezeichnen sie die Menschen der westlichen Zivilisation - zu suchen, um uns dabei zu unterstützen, wieder in Kontakt mit unserer lebendigen Mitwelt zu treten. Sie leben nach dem Prinzip des Einen Gedankens, der ihnen hinterlassen wurde und eine für alle Menschen und für alles Leben geltende universelle Gesetzmäßigkeit darstellt. "Der Eine Gedanke im Sinne der Kogi ist die intelligente systemische Gegebenheit in der Natur, in die ich mich gedanklich und mit meinem Handeln integrieren kann oder nicht. In dieser Gegebenheit haben alle Dinge ihren Ort und ihre Aufgabe, unabhängig von den oft fiktiven Wunschvorstellungen des Eigenwillens. Aus dem Zusammenspiel dieser Orte und Aufgaben entsteht ein lebendiges Fließen, das die Grundlage für die Entfaltung und das Aufblühen des Lebens darstellt. ... Mit der Präsenz des Menschen jedoch kann diese Ordnung erfüllt und belebt (gehütet) oder blockiert und durcheinander gebracht werden. Das Schlüsselwort ist hier der Ausgleich von Ungleichgewichten durch das Ausfüllen des eigenen dynamischen Platzes in der Welt. Dem Einen Gedanken liegt also eine lebendige Intelligenz und Genialität zugrunde, die sich im Menschlichen zuweilen als Weisheit äußert. ... Der einzige Sinn des Einen Gedankens ist, allen Lebewesen ein gutes (und gelingendes) Leben zu ermöglichen." Für die Kogi ist die Erde ebenso wie der Mensch ein lebendiges Wesen. Die Berührung eines Blattes ist für sie wechselseitig und wird von einem Bewusstsein wahrgenommen. Die Erde verliert dadurch den Status eines uns gleichgültigen Objektes und es entsteht eine emotionale Beziehung. Eine solche emotionale Beziehung ist Voraussetzung dafür, etwas unaufgefordert von uns aus schützen zu wollen. "Die intrinsische Motivation, die Erde so zu schützen, wie man seine eigene Mutter schützen würde, kann nur über das Spüren der Erde als lebendiges Subjekt gelingen."

Es ist eine Ähnlichkeit zu Eike Braunroths "Kooperation mit der Natur" und Rupert Sheldrakes Idee der morphogenetischen Felder erkennbar. Auch die Kogi sind davon überzeugt, dass sich Gedanken und Gefühle auf die Natur auswirken und ebenso beglichen werden wollen wie Ungleichgewichte, die zwischen Menschen entstanden sind. Sie sehen die Natur als Subjekt mit eigener Intention und begreifen sie als eine Art Handelspartnerin, die an Austausch interessiert ist. Für die Kogi existieren für sämtliche Probleme auch bereits die passenden Lösungen. Während wir in der westlichen Zivilisation jedoch zu einem trennenden und analysierenden Auseinandernehmen einer Situation tendieren, haben die Kogi Zugang zu den bereits vorhandenen Lösungen. Ein Beispiel ist unser Umgang mit Pestiziden: "Die Jüngeren Brüder benutzen Pestizide, weil sie die Natur nicht verstehen. Sie verstehen nicht, dass Schädlinge nur kommen können, weil etwas im Ungleichgewicht ist. Es ist völlig normal, dass ein Teil der Pflanzen auch als Nahrung für andere Lebewesen dient, aber nicht, dass sie im Übermaß kommen, um alles aufzufressen."

Eike Braunroth sagt in Bezug auf Schnecken, dass sie keine Gefahr bedeuten, weder für den Löwenzahn noch für den Salat. "Es geht uns nämlich nichts an, ob eine Schnecke Löwenzahn oder Salat verspeist. Denn sie kümmert sich nicht um uns und unsere Belange. Sie erfüllt ihre naturgegebene Aufgabe." Vielleicht können Nacktschnecken uns dabei helfen, mehr Gelassenheit zu üben und andere Perspektiven einzunehmen. Dazu das wunderbare Zitat: "Die Nacktschnecken haben Deinen ganzen Salat gefressen. Nicht nur gefressen, sondern sie haben darin getanzt, haben einander die Blätter als Schal um den Hals gelegt und laut darüber gelacht, wie sehr Du Dich darüber ärgern würdest, wenn Du sie so sehen könntest." Eins-Sein mit der Natur bedeutet, sich der eigenen beschränkenden Gedanken und Gefühle bewusst zu werden und neue Gedankengänge zuzulassen und auch zu leben. Wie wäre es zum Beispiel mit dieser Einladung, formuliert von Eike Braunroth: "Liebe Schnecke, liebe Wühlmaus, ich freue mich, dass Du bei mir im Garten bist. Ich bin glücklich, dass Dir der von mir gesäte Salat, die von mir gesäten und betreuten Rüben so gut munden."

Ich habe damit angefangen, meine Einstellung gegenüber Nacktschnecken zu verändern. Wenn ich eine Nacktschnecke bewusst in die Hand nehme und berühre, zieht sie zunächst ihre Fühler ein und krümmt sich. Ihr Körper verhärtet sich dabei, vermutlich als Schutz vor einer Verletzung oder dem Gefressen werden. Jede dieser Berührungen könnte für die Schnecke den Tod bedeuten. Ein unglaublicher Stress, wenn ich das auf menschliches Empfinden beziehe. Nach einer Weile fängt die Schnecke an, vorsichtig ihre Fühler wieder auszustrecken, um sie dann gleich wieder einzuziehen. Dies wiederholt sich, wobei die Fühler allmählich immer weiter herauskommen und länger dort bleiben. Die Nacktschnecke fängt langsam an, mir zu vertrauen. Nach einer Weile beginnt sie, auf meiner Hand zu kriechen. Währenddessen betrachte ich sie aufmerksam und fange an, sie mit anderen Augen wahrzunehmen, ja sogar sie wertzuschätzen und ihr zu danken für alles, was sie hier im Garten zum natürlichen Gleichgewicht beiträgt. Dann setze ich sie behutsam wieder auf die Erde.

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